Wie gut kenne ich meine Yogaschüler?

TeilnehmerInnen gewinnen und halten heißt der Titel des aktuellen Yogamagazins des Bund Deutscher Yogalehrer, in dem ich Mitglied bin. Wie bei jedem Berufsverband erhält man hin und wieder Nützliches rund ums Recht, Einführungen in philosophische Themengebiete und Weiterbildungsangebote.

Dabei übersteigen die Kosten für die Fort- und Ausbildungen, zu denen man sich ehrenhaft verpflichtet in der Branche bei weitem dem erwirtschafteten Gewinnen (meistens) und das ist üblich in der Branche. Die wenigsten Yogalehrer üben nur diesen einen Beruf aus. Und die, die es taten, haben es spätestens in der Pandemie bereut.

Was soll ich also tun? Ich soll mich laut Artikel mit meinen Schülern unterhalten oder sogar evtl. Online-Umfragen machen. Beides ist sinnig und einleuchtet. Als ich den Absatz über die Detailfragen lese, bin ich aber dann doch sehr irritiert. Wie z.B. „Leben Sie überwiegend alleine oder in einer Partnerschaft?“ „Zu welcher Einkommensschicht gehören Sie?“. Fragen nach Alter, Wünschen und Bedürfnissen sind eh klar. Das klärt jeder professionelle Yogalehrer vorher ab (Die Frage nach dem Befinden ist u.a. auch für die Haftung von großer Bedeutung).

Ich kenne meine Zielgruppe und sie ist bunt. Sie ist agil, bodenständig, offen, oft auch krank und in Existenznöten aufgrund von Erwerbsschwierigkeiten wegen länger andauernder Krankheit. Ich bediene sie alle. Die jungen, die mittleren (zu denen ich gerade noch gehöre laut Papier) und die jungen Älteren. Nur die Gruppe über 70 lasse ich aus. Diesen Spagat bekomme ich nicht hin. Da muss es sich schon um sehr sportliche über 70jährige halten. Junge, eher unbewegliche Menschen können wiederum gut mit den Mit-Sechzigern, die sehr sportlich sind und deren Beweglichkeit etwas gelitten hat.

Der Artikel rät mir eine Nische zu finden. Klingt ja logisch. Habe ich auch gemacht. Nicht strategisch, sondern aus dem Herzen. Ich habe mich denen angenommen, die chronisch erkrankt sind, die Krebs haben oder hatten oder andere schwere Erkrankungen, die therapiert werden und die einfach wieder ins Leben zurück wollen! Darunter sind junge Mütter mit Anfang oder Ende Dreißig, Männer in den mittleren Jahren, die als Hauptverdiener ihre Familie versorgen, es sind auch Ärzte und Psychologen darunter. Es trifft einfach jeden. Und was auch jeden trifft ist der Punkt an dem sie stehen, dass sie sich gut überlegen müssen, ob sie sich den Kurs oder das private Sport- und Beweglichkeitstraining überhaupt leisten können. Diese Beschreibung trifft es nicht im Ansatz (Hilfe, ich brauche eine PR-Beratung).

In meiner Nische treffe ich auf Menschen, die sehr dankbar sind. Die sehr froh sind ein passendes Angebot gefunden zu haben. Dabei steht meine Expertise nicht nur für meine Kenntnisse als BDY Lehrerin, sondern auch als Expertin für Bewegung bei Krebs (so betitelt mich die Akademie für Psycho-Onkologie für die (und für andere) ich seit mehr als 15 Jahren Ärzte und Psychologen weiterbilde). Meine Basis ist mein Studium der Sportwissenschaften, Pädagogik, Physiologie und Gesundheitspsychologie.

Jeder Marketingexperte würde mir als Erstes erklären, dass ich mir klarmachen solle, was mich ausmacht mit meinen Kompetenzen und mir dann eine Nische suchen und zwar die, die meine Ausbildung auch finanziell würdigen kann. Abheben muss ich mich dabei von den anderen. Befreundete Coachen raten mir immer wieder dazu mein Wissen nicht einfach so Preis zu geben, nicht einfach länger zu unterrichten bzw. zu coachen als nötig. Zu meiner Spezialisierung stehen und in Kauf nehmen, dass sich meine Zielgruppe verändert oder ausdünnt

Konkret bedeutet das häufig, dass ich von „Kranken“ die Finger lasse, es sei denn sie sind vermögend!?

Kommen wir noch mal zurück – worum geht es hier eigentlich? Es geht vor allem um den Yoga und er ist für alle da.

Also müsste doch die Frage lauten: Wie kann ein Angebot aussehen, dass all diese Menschen berücksichtigt, einbezieht und fördert und trägt?

Desweiteren steht in diesem Artikel des BDY, dass ich den TeilnehmerInnen entsprechend Angebote zuschneiden soll. Tatsächlich habe ich das getan und einen Kurs bei den Krankenkassen eingereicht, der sich „auch gut für Menschen mit Krebs eignet, die sich nicht gerade akut in einer Therapie befinden….und für Personen, die an anderen chronischen Erkrankungen leiden…um Folgeerkrankungen vorzubeugen…“. In dem fast 100seitigen Skript über die Anforderungen an solche Konzepte steht ausdrücklich, dass es sich bei den Krankenkassenyogakursen um primärpräventive Maßnahmen handelt (also bevor Krankheiten entstehen) und dennoch sollen diese Kurse vor allem auch für BrustkrebspatientInnen angeboten werden. Also versteh einer das? Und ganz ehrlich – wer ist gesund und kommt ins Yoga? Das ist eher die Ausnahme. Neben dem Schüler mit wiederkehrendem Hexenschuss (bestenfalls) liegt der Sportler mit dem Meniskusschaden, dahinter jemand mit Bluthochdruck, dazu gesellt sich ein Mensch mit 2x Hallux Valgus und jemand, der zu Migräne neigt.

Diese Konzepte, die man entwerfen kann, kosten Zeit und Zeit ist Geld. Und wenn man diese Konzepte für die Krankenkassen entwirft, um den Menschen, die finanziell nicht so gut dastehen entgegenzukommen, dann darf man sie oft nicht in den Kurs integrieren laut Leitlinien.

Und wieder frage ich: Für wen ist der Yoga? Er ist für alle! Und er muss leistbar sein für alle. Und auf die Gefahr hin, dass sich Marketingexperten nach dem Lesen des Blogs melden um mir die Ohren zu waschen: Ich vertraue auf das Leben und ausgleichende Gerechtigkeit. Wenn sich eine fast ausgebrannte Erzieherin meldet und sich den Kurs kaum leisten kann und ich gleichzeitig lese, dass in meinem Wohnort ein so großer Fachkräftemangel herrscht, dass jeder Quereinsteiger willkommen ist, der Kinder mag – dann VERSCHENKE ich meine Dienstleistung von Herzen gerne an diese Care-Giver. Dasselbe gilt auch für Therapeuten oder Ärzte oder Pflegekräfte, denn unsere Gesellschaft braucht diese Fachkräfte!

Irgendjemand sollte sich mit dem Marketing beschäftigen, wie man diese natürliche „Menschsein-Mitgefühls“ Praxis am Leben erhält. Da fühle ich mich tatsächlich ziemlich alleine an der Front und das sollte doch bei uns allen – vor allen uns Yogalehrern – an erster Stelle stehen!

Und jetzt sorry lieber Leser – Ich muss nun Image Pflege betreiben (steht in diesem Artikel), die social media Kanäle nicht vergessen und die Geburtstagsgrüße an die TeilnehmerInnen.

Ganz ehrlich: Ich betreibe nun erstmal Selbstfürsorge und gehe auf die Matte, dann gehe ich raus und dann schreibe ich mir selbst mal wieder eine nette Karte.

Herzlichst Silke

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